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Apnoe


Text/Abbildungen:
Jonathan Püttmann
Hochgeladen: 05.04.2020
Textart: Sachtext
Kategorie: Körpergefühl
Länge: 1050 Wörter
Seite 1
A411

Sport ohne Atem


Apnoe in der Badewanne

Legt man sich mit dem Blick nach oben auf eine Wasser­ober­fläche, kann das ziem­lich ent­spannend sein. Mund und Nase sind über Was­ser und durch den natür­lichen Auf­trieb kann man darauf ver­trauen nicht unter­zugehen, solange man ein Minimum an Körperspannung behält. In der Regel ist es um einen herum ziemlich hell, eventuell wird man sogar von der Sonne oder einer Lampe geblendet. Da die Ohren jedoch unter Wasser sind, vergisst man nie, dass der eigene Körper streng genommen nicht nur auf einer Oberfläche liegt, sondern genauso über einer tiefen Schlucht schwebt. Es ist eine Frage der Perspektive. Die zweite, weniger populäre Sichtweise, lässt sich noch verstärken, indem man sich 180° um die eigene Achse dreht und mit dem Gesicht vollständig untertaucht. Sofort wird durch den Wasserkontakt an Mund und Nase der sogenannte Tauchreflex ausgelöst, der verhindert, dass wir aus Versehen einatmen. Diese Umstellung findet jedoch nur unterbewusst statt. Mehr Beachtung findet der unerwartete Blick in die schwer einzuschätzende Tiefe unter einem. Ist das Wasser klar genug, kann man bis auf den Grund schauen, der manchmal zum Greifen nah scheint. Der Puls verlangsamt sich und die eigene Aufmerksamkeit richtet sich nach innen. Am liebsten würde man in dieser Haltung einschlafen, wenn nicht der Atemreflex wäre. Denn bereits nach 30 Sekunden meldet sich unser Gehirn zurück und verlangt nach frischem Sauerstoff. Für die allermeisten Menschen ist die Reise hier zu Ende. Sie drehen sich wieder um, atmen genüsslich ein und ziehen ihres Weges. Für einen Freitaucher dagegen geht es jetzt erst richtig los.

Das Wort Apnoe kommt aus dem Griechischen und bedeutet „ohne Atem“. Grundsätzlich kann man jede Sportart betreiben, ohne zu atmen. Beim Höhentraining im Leistungssport wird die systematische Unterversorgung mit Sauerstoff zur legalen Optimierung der Sauerstoffkapazität im Blut genutzt. Beim Tauchen dagegen ist man dazu gezwungen, die Luft anzuhalten, bis der Tauchgang beendet ist. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass Freitauchen (engl. Freediving) keine klassische Ausdauersportart ist. Durch die hohe Effektivität der Schwimmzüge mit vergleichsweise wenig Sauerstoffverbrauch wird die Grenze in der Regel nicht von unserem Körper, sondern vielmehr durch uns selbst gezogen. Mentale Barrieren und angelernte Schutzmechanismen halten uns davon ab, unser volles Potential auszuschöpfen. Daher ist das Tauchen nur mit Schnorchel und Maske eine Reise in uns selbst. Es geht nicht darum, irgendwelche Rekorde aufzustellen oder sich mit anderen zu messen – die Leidenschaft des Apnoetauchens beruht allein darauf, den eigenen Körper stetig besser kennenzulernen und seine selbst gesetzten Grenzen zu überwinden. Umso wichtiger ist es, dass man nie allein taucht und ausschließlich in Begleitung eines geschulten Sicherungstauchers an seine Grenzen geht. Zu viele Vorurteile gibt es schon über das Freitauchen, dass mittlerweile die ganze Öffentlichkeitsarbeit der Verbände darauf beruht, die Sicherheit und Verantwortungsfähigkeit der Sportler in den Fokus zu stellen.

Kehren wir noch einmal zurück an unsere Wasseroberfläche. Der Atemreflex, der einen untrainierten Menschen gleich wieder auftauchen lässt, ist mit etwas Übung leicht zu unterdrücken. Stattdessen wird der erfahrene Taucher immer ruhiger und sein Puls immer niedriger. Die Kunst ist, durch mentales Training seine Gedanken auf ein Minimum zu reduzieren, denn zu diesem Zeitpunkt ist das Gehirn Sauerstoffverbraucher Nummer Eins im Körper. Erst wenn jeder Muskel im Körper entspannt und der Taucher bereit ist, zieht er die Füße langsam an den Körper, legt das Kinn auf die Brust und macht einen leichten Buckel, sodass wie bei einer Ente der Hintern kurz aus dem Wasser ragt und der Oberkörper senkrecht in die Tiefe abtaucht. Streckt man jetzt noch die Beine aus, sinkt man ganz ohne jedes Zutun in eine Tiefe von etwa zwei Metern ab. Erst dann macht der Taucher seinen ersten Armzug, beziehungsweise beginnt mit dem Flossenschlagen. Mit jedem Meter Tiefe steigt der Druck auf die Ohren, daher sollte man mindestens alle anderthalb Meter einen Druckausgleich durch die Nase machen. Auch die Lunge wird zusammengepresst, wodurch die Sauerstoff-Aufnahmefähigkeit des Bluts gesteigert wird und man sich erstaunlich wohl fühlt. Es gilt jedoch zu beachten, dass der gegenteilige Effekt beim Auftauchen auftritt, weshalb man sich stets genügend Puffer lassen sollte, um einen Blackout zu vermeiden.

Je nach körperlicher Verfassung und Trainingsstand tritt nach etwa zwei Minuten der Atemreiz ein. Dies merkt man daran, dass sich das Zwerchfell plötzlich in rhythmischen Kontraktionen zusammenzieht und man den unangenehmen Drang verspürt, wieder Luft zu holen. Je nachdem wie schnell man sich fortbewegt kann dieser Zeitpunkt auch stark variieren. Auf keinen Fall sollte man nun in Panik verfallen, denn die lässt bekanntlich den Puls in die Höhe schnellen, was ziemlich ärgerlich wäre und unter Umständen gefährlich sein kann. Interessanterweise wird der Atemreiz gar nicht von der Sauerstoff-, sondern von der Kohlenstoffdioxidkonzentration im Blut verursacht. Früher war es beliebt, durch Hyperventilation vor dem Tauchgang den CO2-Pegel zu senken und damit den Atemreiz hinauszuzögern. Diese Technik ist mit das gefährlichste, was man tun kann, denn der Atemreiz ist wichtig für uns, um abzuschätzen, wann wir wieder auftauchen müssen. Durch Hyperventilation dagegen wird lediglich die CO2-Konzentration im Blut reduziert, nicht aber die Sauerstoffaufnahme erhöht. Durch dieses Ungleichgewicht kann es passieren, dass der Taucher noch vor dem Atemreiz das Bewusstsein verliert. Unter Wasser das Schlimmstmögliche, was passieren kann – der Blackout. Greift der Sicherungstaucher nicht innerhalb weniger Sekunden ein und zieht den Bewusstlosen an die Oberfläche, besteht Lebensgefahr!

Gewöhnlich markiert die erste Zwerchfellkontraktion ungefähr zwei Drittel der gesamten Tauchzeit, sprich, tritt sie nach einer Tauchstrecke von 30 Metern auf, weiß der Taucher, dass er nach weiteren 15 Metern spätestens auftauchen sollte. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass der Atemreiz wirklich sehr unangenehm ist, weshalb man oft versucht ist schneller zu tauchen, um es „hinter sich zu bringen“. Tatsächlich geht eine Variation der Tauchgeschwindigkeit mit einer Reduzierung der Leistungsfähigkeit einher. Traut man sich also nicht zu, weitere dreißig Sekunden durchzuhalten, sollte man einfach früher auftauchen und sich langsam an die persönlichen Bestwerte herantasten.

Apnoetauchen ist eine faszinierende wie anspruchsvolle Sportart, bei der man viel über sich lernt und die Gelegenheit bekommt, ohne übermäßigen Aufwand mit geringem Risiko über sich hinaus zu wachsen. Obgleich man die geschilderten Vorgänge bereits im heimischen Schwimmbad erleben kann, entfaltet das Freitauchen erst im Freiwasser seine wahre Schönheit. Anders als mit Druckluftflaschen ist man an keine Dekompressionsstopps oder Maximaltiefen gebunden und kann sich vollkommen frei und ohne Ballast unter Wasser bewegen. Für den Anfang gehe ich jedoch zunächst näher auf Trainingsmethoden, die jeder bei sich zuhause nachmachen kann, und die verschiedenen Wettkampfdisziplinen ein.

Anmerkungen:

Wer sich näher mit Apnoetauchen beschäftigen möchte, dem sei dazu geraten, sich ein Buch zu dem Thema zu kaufen. Ich bin selbst kein Profi und habe mein Wissen aus Büchern und Erfahrungsberichten. Empfehlen kann ich die Bücher In die Tiefe von Anna von Boetticher und Apnoe von Nik Linder und Phil Simha.

Und wer einfach nur beeindruckende Filmaufnahmen genießen möchte, sollte unbedingt bei Guillaume Néry auf Youtube vorbeischauen.