Schwimmen
Es gibt einige charakteristische Geräusche, die mein Herz unwillkürlich schneller schlagen lassen. Dazu gehören die rhythmischen Bassschläge von Basketbällen in einer Sporthalle oder das helle Rauschen und Plätschern eines Schwimmbeckens. Besonders die Geräusche im Hallenbad haben seit ich denken kann eine unvergleichliche Wirkung auf mich. Dazu ist ja ein Schwimmbad auch ein besonderer Ort. Ganz selbstverständlich werden eng anliegende Badehosen und Bikinis getragen und nackte Beine gezeigt, als könnte man seine Scham mit einem Schalter an der Kasse vorübergehend deaktivieren. Gleichzeitig werden Geschlechter nirgendwo im Alltag stärker unterschieden, sei es bei den Umkleiden, Duschen oder Kleiderordnung. Saunagäste, die gemeinsam alle Hüllen fallen lassen, müssen sich vorher und nachher getrennt nach Geschlechtern umziehen. Für Frauen ist beim Schwimmen eine Bedeckung der Brust vorgeschrieben, für Männer nicht – aber das nur am Rande.
Begreift man ein Schwimmbad als eigenen Mikrokosmos, können die vielen ineinander greifenden, über Jahre bewährten Regeln eine gewisse Faszination auslösen. Nirgendwo steht geschrieben, dass man hinter der Kasse erst die Umkleiden, dann die Schließfächer passiert und zuletzt durch die Duschen in die Schwimmhalle kommt. Ohne Zweifel wäre dies auch der natürliche Ablauf für die meisten Menschen, wenn man ihnen die Wahl ließe, doch durch die systematische Fließbandabfertigung der Besucher wird der Ablauf zu einer eigenen Kultur. Am Schwimmbecken geht es direkt weiter mit dem freundlichen Hinweis, Badelatschen zu benutzen und nicht zu rennen. Vom Beckenrand springen ist verboten, die Sprungtürme sind die meiste Zeit gesperrt. Dazu kommt jede halbe Stunde eine Durchsage, dass Kinder und unsichere Schwimmer den tiefen Teil des Wellenbeckens meiden sollen und die Rutschbahn nur einzeln, in Rückenlage und überdies auf eigene Gefahr zu benutzen sei.
Interessant wird es wie immer dort, wo es keine offiziellen Regelwerke gibt. Es sagt viel über einen Menschen aus, wie er sich in einem Schwimmbecken ohne oberflächlich markierte Bahnen verhält. Die einen orientieren sich bewusst an den Bodenmarkierungen, halten sich stets rechts und kehren nach dem Überholen wieder auf ihre alte Spur zurück. Andere schwimmen stets von Startblock zu Startblock mitten auf der Bahn und erwarten, dass man ihnen ausweicht. Jedes Kind lernt im Schwimmverein und spätestens in der Schule den sogenannten Kreisverkehr. Dabei wird die Bahn in drei Spuren geteilt: Eine zum Hinschwimmen, eine zum Zurückschwimmen und eine allgemeine Überholspur. Wenn ich mir im Freizeitbad die Bahn mit ein oder zwei anderen Schwimmern teile, biete ich ihnen immer den Kreisverkehr an, indem ich ihnen beim Entgegenkommen stets nach rechts ausweiche. Zu zweit macht es manchmal aber mehr Sinn, dass jeder eine Hälfte der Bahn für sich nutzt, besonders wenn es einen großen Geschwindigkeitsunterschied gibt. Es ist schon vorgekommen, dass ich zuerst allein auf einer Bahn schwimme, dann eine zweite Person hinzukommt und wir die Bahn halbieren und mit dem Auftauchen einer dritten Person alle drei wortlos ins Kreisverkehr-System wechseln. So sieht der Idealfall aus. Leider ist es eher die Regel, dass mindestens eine Person ohne böse Absicht dieses wunderschöne System ignoriert und aus dem Kreisverkehr ein Slalom wird.
Das Schwimmtraining an sich ist dann eine sehr eintönige Angelegenheit. Läufer beschweren sich ja gerne über monotones Laufbandtraining, doch das ist kein Vergleich zu einer Trainingseinheit im Schwimmbad. Über 60 Minuten lang sieht man nichts anderes als die Bodenkacheln des Beckens, die doch zu klein sind, um sie einzeln betrachten zu können. Mit knapp einem Meter pro Sekunde zieht man über den weit entfernten Boden hinweg, alle 30 Sekunden trifft man auf einen Beckenrand und muss wenden. Um sich abzulenken, kann man nun aus den Augenwinkeln die anderen Badegäste beobachten oder man konzentriert sich ganz auf die eigene Technik. Besonders die Haltung und das Timing der Bewegungen sind entscheidend für ein schnelles Vorwärtskommen. Auch ein gutes Rhythmusgefühl ist hilfreich, da das regelmäßige Auf- und Abtauchen in den Ohren einen dumpfen Grundschlag erzeugt, an dem man sich orientieren kann.
Ich habe beim Training immer das Gefühl, dass das Wort „Schwimmen“ nicht das beschreibt, was ich tue. Grundsätzlich ist der menschliche Körper schwerer als Wasser, weshalb jeder Mensch zu Beginn seiner Schwimmkarriere damit zu tun hat, sich an der Oberfläche zu halten. Doch wie beim Laufen lernen schwindet rasch der Aspekt des reinen „an der Stelle bleiben und nicht untergehen“. So wie ein Läufer sich mal mit den Füßen am Boden, mal in der Luft befindet, variiert ein Schwimmer seine Lage an der Oberfläche in einem ständigen Zyklus. Beim Brustschwimmen ist man etwa die Hälfte der Zeit komplett unter Wasser, um sich dann mit jedem Armzug einen halben Meter hoch in die Luft zu wuchten. Entweder ich gleite also ein gutes Stück unterhalb der Wasseroberfläche oder ich drücke mich aus eigener Kraft und für kurze Zeit nach oben an die Luft. Mit dem Schwimmen einer Boje oder einer Ente hat weder die eine noch die andere Bewegung etwas zu tun. Beim Kraulschwimmen geht es zwar weniger auf und ab, doch auch hier drückt man sich mit den Armen nach oben, um weniger Reibung ausgesetzt zu sein.
Wenn ich schwimmen gehe, verliere ich innerhalb kürzester Zeit das Gefühl für meinen natürlichen Auftrieb. Ich habe dann mehr das Gefühl, über ein zähflüssiges Moor zu kriechen als an der Oberfläche eines Wassers zu treiben. Erst wenn ich mich entschließe zu tauchen, konzentriere ich mich wieder auf Lungenvolumen und Auftrieb. Im Gegensatz zum Schwimmer ändert ein Taucher seine Haltung im Idealfall nicht, obwohl die Bewegungsabläufe prinzipiell gleich sind. Ohne den Kontakt zur Wasseroberfläche fehlt ein fester Bezugspunkt, sodass es keinen Unterschied macht, ob man sich in der Waagerechten oder Senkrechten bewegt und wie tief man ist. Mit Bleigewichten kann man seinen Auftrieb perfekt austarieren, sodass man unter Wasser ebenso schwerelos ist wie ein Astronaut im Weltall. Aber das ist nur ein Aspekt der Faszination des Apnoetauchens.
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