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Karnivoren


Text/Abbildungen:
Jonathan Püttmann
Hochgeladen: 07.04.2020
Textart: Sachtext
Kategorie: Pflanzenkultur
Länge: 1483 Wörter
Seite 1
A701

Kultur von Karnivoren


Drosera aliciae

Lange Zeit hielt man es für un­möglich, dass es Pflanzen geben könnte, die Tiere fangen und sogar verdauen, um auch in nährstoff­ärmeren Um­gebungen zu über­leben. Als Charles Darwin als erster Fliegen fangenden Sonnen­tau beschrieb, wurde er nur belächelt. Jedoch lag er völlig richtig: Um einen evolu­tionären Vor­teil gegenüber anderen Spezies zu haben, ent­wickelten einige Pflanzen im Laufe der Zeit Fang­mechanismen für die verschiedensten Insekten. Dabei haben sich die karnivoren Pflanzenfamilien größtenteils parallel zueinander entwickelt, besitzen also keine gemeinsamen Vorfahren. Heute gibt es weltweit über 1000 verschiedene Arten, aufgeteilt in 17 Gattungen, vertreten auf allen Kontinenten außer der Antarktis. Entgegen dem weitverbreiteten Namen Insektivoren fangen Fleischfressende Pflanzen nicht nur Insekten, sondern auch Einzeller, kleine Fische, Amphibien und Reptilien. Größere Beutetiere wie Säugetiere oder Vögel werden ebenfalls gefangen, was jedoch eher die Ausnahme ist. Unter anderem werden auch Laub und anderes pflanzliches Material mit verdaut.
Allgemein findet man Karnivoren dort, wo es viel Licht und wenig Nährstoffe gibt. Hierbei spielt die Bodenbeschaffenheit eine Nebenrolle, sodass man auch an Steilhängen, in Wüsten oder auf blankem Fels Karnivoren antrifft. Diese Vielfalt und Anpassungsfähigkeit sind das, was die Menschen, auch mich, an den Pflanzen so faszinieren. Die Beliebtheit von Karnivoren hat in den letzten Jahren sprung­haft zugenommen, die meisten Arten werden mittlerweile in zahlreichen privaten Sammlungen kultiviert und gezüchtet. Dabei wird jedoch häufig außer Acht gelassen, dass die Forschung in diesem Bereich noch relativ jung ist. Immer wieder werden neue Arten und Fangstrategien entdeckt. Traurigerweise muss man dazu sagen, dass vermutlich schon etliche unentdeckte Karnivoren aufgrund von Zerstörung ihrer Habitate ausgestorben sind.

Angeregt durch eine Fernsehdokumentation über die südafrikanische Flora begann ich mich im Jahr 2013 wieder näher mit Fleischfressenden Pflanzen zu beschäftigen. Wie jedes Kind hatte auch ich meine Erfahrungen damit gesammelt, allerhand Kleinteile von einer Venusfliegenfalle verdauen zu lassen. Und da ich schon immer ein Faible für alles Räuberische hatte, begann ich sogleich zu googeln. Erstmals erfuhr ich, dass dass es eine große Vielzahl von Fangmethoden durch Pflanzen gab. Die fotogenste ist vermutlich die des Sonnentaus, welche ich auch in dem Dokumentationsfilm gesehen hatte. Mit unzähligen Tentakeln bestückt, an deren Ende unangenehm klebrige Flüssigkeitströpfchen in der Sonne schillern, locken die Blätter Insekten zu sich. Lässt sich ein Tier auf der Pflanze nieder, rollen sich die Blätter innerhalb weniger Minuten um den Körper und beginnen es zu verdauen. Dabei können die Blätter einer Pflanze auch zusammenarbeiten und damit selbst größere Insekten fangen. Also zog ich in diesem Jahr meine ersten Kap-Sonnentau-Sämlinge. Die Samen bezog ich preisgünstig übers Internet, empfehlen kann ich da besonders das GFP-Forum. Für einen Euro bekommt man mehrere hundert Samen, die so fein wie Staubkörner sind und einfach über etwas ungedüngtem Weißtorf oder Karnivoren-Erde ausgestreut werden können. Für die Anzucht gilt für fast alle Karnivoren folgende Faustregel: Dauerhaft feucht halten mit kalkfreiem Wasser und so viel Licht/Sonne wie möglich. Das war's. Nach schon wenigen Monaten waren die Sonnentaue so groß, dass ich gut die Hälfte entsorgen musste, um Platz für andere Arten zu schaffen. In den nächsten Jahren probierte ich mich an fast allen Karnivoren-Gattungen, die da heißen: Cephalotus, Dionaea, Drosera, Heliamphora, Nepenthes, Pinguicula, Sarracenia und Utricularia. Aldrovanda, Byblis, Darlingtonia, Drosophyllum und Genlisea sind in ihrer Kultur etwas eigen, daher habe von davon bisher abgesehen.

Während Dionaea muscipula und Cephalotus follicularis die einzigen Vertreter ihrer Gattung sind, zählen zu Drosera, Nepenthes und Utricularia jeweils über hundert reine Arten und unzählige Hybriden. Im Laufe der Zeit habe ich immer mal wieder neue Pflanzen dazugekauft, selber gezogen und vermehrt. Andere Arten verloren dagegen den Kampf gegen die sommerliche Wasser­knappheit, Blattläuse und winter­bedingten Lichtmangel und verschwanden schnell wieder von meiner Bestandsliste. Auf diese Weise ist eine kleine, aber stabile Sammlung an Pflanzen zustande gekommen, die ich heute mein Eigen nenne. Doch die bloße Kultur von Karnivoren ist nur eine Hälfte des Hobbys. Wer sich im mitteleuropäischen Raum für Fleischfressende Pflanzen interessiert, dem kann ich nur die Gesellschaft für Fleischfressende Pflanzen im deutschsprachigen Raum e.V., kurz GFP, ans Herz legen. Mit etwa 1000 Mitgliedern ist die GFP ein gut vernetzter und sehr aktiver deutscher Verein mit vielen internationalen Verbindungen. Eine zentrale Rolle nimmt dabei das bereits oben erwähnte Forum ein, in dem selbstverständlich auch Nicht-Mitglieder schreiben können. Von Kultur, Reise und Forschungs-Berichten über Fotowettbewerbe bis zur Tauschbörse findet sich hier alles, was man über Karnivoren wissen muss, im Zweifel einfach nachfragen. Außerdem finden in regelmäßigen Abständen deutschlandweit Stammtische und Mitgliedertreffen statt, bei denen man sich persönlich austauschen kann. In Verbindung mit unzähligen internationalen Naturschutzprojekten leistet somit die GFP meiner Meinung nach einen verhältnismäßig großen Beitrag zur Umweltbildung sowie Flächen- und Artenschutz.

Aber was hat das Ganze mit Terraristik zu tun? Die meisten Fleischfressenden Pflanzen lassen sich problemlos auf der Fensterbank kultivieren. Dionaea, Sarracenia und einige Drosera stehen sogar ganzjährig draußen im Moorbeet. Doch wie in der Terraristik üblich wird es erst richtig interessant, versucht man Arten zu pflegen, die aus einer komplett anderen Klimazone stammen. Diese Rolle nehmen bei Karnivoren die in den Tropen beheimateten Nepenthes und Heliamphora ein. Nepenthes, deutsch Kannenpflanzen, sind schmalblättrige, immergrüne Kletterpflanzen, die mehrere Meter hohe Ranken bilden können. Als Regenwaldbewohner bevorzugen sie durchlässigen und nährstoffarmen Boden. An zusätzliche Nährstoffe gelangen sie, indem sie an ihren Blattspitzen bauchige Grubenfallen, die sogenannten Kannen ausbilden. Verbreitet sind sie vorwiegend in Südostasien. In der Kultur unterscheidet man zudem zwischen Tiefland, Hochland und intermediären Arten.
Heliamphora, deutsch Sumpfkrüge, sind dagegen fast ausschließlich auf den südamerikanischen Tafelbergen, auch Tepuis genannt, oberhalb der Baumgrenze verbreitet. Die Blätter bilden kunstvoll geformte Krüge ohne Deckel, die wie Nepenthes Tiere in ihr Inneres locken, allerdings wachsen diese lediglich auf dem Boden.

Möchte man sich jetzt ein Terrarium mit diesen Pflanzen einrichten, muss man sich zunächst für das Klima entscheiden. Ein Tiefland-Terrarium zeichnet sich durch konstant hohe Temperaturen, viel Licht und hohe Luftfeuchtigkeit aus. Nachts sinkt die Temperatur höchstens um wenige Grad, sodass im Zweifelsfall extra geheizt werden muss. Bei den Bedingungen für ein Hochlandterrarium orientiert man sich am besten an den Bedingungen auf den Tepuis. Tagsüber volle Sonne ohne Schatten, nachts eine Temperaturabsenkung um bis zu 10°C. Da diese Bedingungen ohne weiteres in der eigenen Wohnung nicht realisierbar sind, besitzen viele Terrarianer beheizte Gewächshäuser oder ausgefeilte Beleuchtungs- und Kühlsysteme für ihr Terrarium. Heliamphora heterodoxa x minorDrosera aliciae Blüte
Lange Zeit war ich der Meinung, ich müsse mich zwischen diesen beiden Optionen entscheiden, da intermediäre Arten, die etwas anpassungsfähiger und robuster sind, langweilig seien. Entstanden ist ein kleines Tiefland-Terrarium, in das ich aus Kostengründen zunächst nur meine N. ventrata, N. miranda und H. heterodoxa x minor setzte. Mit der Zeit wollte ich den Raum im Terrarium etwas füllen und kaufte mir eine N. rafflesiana und eine N. ampullaria, Drosera adelae sowie Drosera prolifera. Aber auch Arten wie N. ventricosa, N. boschiana x veitchii, N. ampullaria x spectabilis und H. neblinae, die eigentlich weniger in ein Tiefland-Terrarium gehören, füllten die Lücken. Irgendwann erfüllte ich mir schließlich noch den Traum einer kleinen N. campanulata.
Und wie sieht es heute aus? Ironischerweise sind gerade die Tiefland-Arten N. rafflesiana und N. campanulata irgendwann eingegangen, somit habe ich jetzt endgültig ein intermediäres Becken. Ich bin trotzdem ziemlich zufrieden, zumal ich mich zeitweise kaum um die Pflanzen gekümmert habe und die Beleuchtung mit zwei 30W LED-Flutern ausbaufähig ist. Besonders die Hybriden wachsen munter vor sich hin und Drosera adelae hat sich gut vermehrt. Auch die beliebte Utricularia alpina x humboldtii hält sich wacker, hat allerdings in diesem Jahr noch nicht geblüht. Aber was interessiert einen die Blüte, wenn doch die Fallen das Entscheidende bei diesen Pflanzen ist?

Karnivoren imponieren keineswegs nur mit ihren farbenfrohen und trickreichen Fallen. Besonders Drosera, Pinguicula und Utricularia sind unter Liebhabern bekannt für ihre ebenso sehenswerten Blüten. Australische Knollendrosera beispielsweise ziehen sich über die heiße Trockenzeit, welche bestenfalls ohne Wasser auf einem heißen Dachboden bei uns simuliert wird, vollständig zu einer festen Knolle in die Erde ein. Endet im Herbst die Trockenheit in den Pflanzentöpfen, beginnen die Pflanzen ihre jährliche Wachstumsperiode mit großen hübschen Blüten, die teilweise noch vor den Fangblättern aus der Erde sprießen. Dieses Ereignis ist für viele der Höhepunkt des Karnivoren-Jahres. Bei mehreren Pflanzen in einem Becken kann da ein wahres Blütenmeer entstehen. Ein anderer Hingucker sind blühende Utricularia, deutsch Wasserschläuche. Ob U. sandersonii oder U. alpina, jede Art überzeugt mit einer einzigartigen Blütenform und -farbe, wobei es nur wenige Arten mit so großen Blüten wie U. alpina gibt. Die beeindruckendste Blüte im ganzen Karnivoren-Reich hat meiner Meinung nach Utricularia quelchii.
Überkommt einen erst einmal die Sammel-Leidenschaft, ist auch der zur Verfügung stehende Platz schneller ausgereizt, als man denkt. Zugunsten anderer Projekte musste ich sogar meinen Bestand stark verkleinern. Übrig geblieben sind mein Tropen-Terrarium mit den Nepenthes und Heliamphora, ein kleiner Moorkübel mit Sarracenia und Dionaea und schließlich noch ein Topf, den ich gern mein Drei-Kontinent-Becken nenne. Dort wachsen Drosera capensis, Drosera aliciae, Drosera binata, Drosera pulchella und mein letzter Cephalotus friedlich nebeneinander. Der Vorteil der Südafrikaner (besonders D. capensis) ist, dass sie das ganze Jahr über Blüten produzieren und ich mich stets auf meine treusten Fotomodelle verlassen kann.

Anmerkungen:

keine