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Regenbogenboa


Text/Abbildungen:
Jonathan Püttmann
Geschrieben: 2013
Hochgeladen: 20.02.2019
Länge: 483 Wörter
Genre: Philosophie

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Regenbogenboa


Schlingen legen sich. Schlingen ziehen sich, würgen dich! Die Dunkelheit macht Angst. Gewitter brennen hoch. Planeten teilen sich, die Sterne greifen dich, und du bist tot.

Er fühlte das Durcheinander, noch bevor er auf dem Boden aufschlug. Doch er fühlte auch Freiheit. Freiheit von dem, was er das ganze Leben über gefürchtet hatte: die Angst. Die Angst vor dem, was ihn erwartete. Die Angst, die er nie als solche wahrgenommen hatte, die doch trotzdem immer dagewesen war, das wusste er jetzt.

Als er sich entschlossen hatte, zu springen, war es schon fast zu spät gewesen. Aber nun hatte er keine Schmerzen mehr. Es dauerte nicht mehr lange, dann war es endgültig vorbei. Vorbei. Diese endlose Suche, die er so lange, so schrecklich lange in Kauf genommen hatte, um sein Leben zu retten, war vorbei. Und das war gut so. Denn auch wenn das Leben an sich eine gute Idee gewesen war, so war er erleichtert, diese Qualen nicht mehr tragen zu müssen. Erleichtert, dass es vorbei war. Vorbei. Endlich.

Doch plötzlich: der Schrecken. Die Meisen. Nicht die B und nicht die C! Die Ameisen! Er hatte sich noch nicht verabschiedet. Er hatte es ihnen überhaupt zu verdanken, dass er hat leben dürfen, und jetzt konnte er sich noch nicht einmal mehr verabschieden. Und das Haus und der Garten, die ihm so lange gedient hatten. Da gab es einen dumpfen Knall und ihm wurde schwarz vor Augen. Er war angekommen.

Als er die Augen aufschlug, war es bereits Nacht. Die Sterne leuchteten am Himmel. Es war Frieden eingekehrt. Und er? Er lebte! Blut überströmt, Schmerzen in den Gliedern, aufgerissener Körper. Zerbrochen. Doch er lebte. Und er war froh darüber. Er sah sich vor sich, bevor dies alles begonnen hatte, bevor die Regenbogenboa aufgetaucht war. Er sah sich, wie er voller Lebensmut sprang und wie er sang. Doch wie war das möglich? Wie hatte er überlebt? Da fühlte er schwach aber sicher den Hügel unter sich. Den Ameisenhügel.

Er wollte leben, wollte rennen, wollte schwimmen. Doch er konnte nicht. Er lag da wie gelähmt. Vielleicht war er es ja auch. Konnte nichts weiter tun, als das alles nur zu denken. Doch das war ihm gleichgültig. Für ihn galt nur noch eines: Überleben! Aber davor wollte er schlafen. Morgen wusste er schon, was zu tun war. Und er schlief friedlich ein.

Es hätte ein gutes Ende nehmen können. Ein Nachbar hatte bereits den Krankenwagen gerufen. Alles hätte gut werden können. Leider hatte er seine Rechnung ohne die Schlange gemacht. Denn nun zog sie, die Regenbogenboa, ihren Körper immer dichter um ihn. Wer sich einmal in ihre Hände begeben hatte, für den gab es kein Entkommen. Sie drückte immer fester zu, ihre Schuppen glitzerten im Sternenlicht. Der Himmel explodierte und das Weltall flog. Die Schlingen voller Schuppen gaben keine Ruhe. Und es brannte und es stank, und es rauchte und es brach. Dann war es endlich still.

Anmerkungen:

In dieser Geschichte werden zwei verschiedene Darstellungsweisen der namensgebenden Schlange miteinander verknüpft: Die Regenbogenboa, lateinisch Epicrates cenchria, ist eine in Mittel- und Südamerika verbreitete Riesenschlange. Mit einer Länge von zirka zwei Metern gehört sie eher zu den mittelgroßen Vertretern ihrer Familie und ist für den Menschen vollkommen ungefährlich. In der Mythologie der australischen Ureinwohner dagegen ist die Regenbogenschlange ein wichtiges Wesen der Traumzeit, einer raum- und zeitlosen Quelle der Existenz vor der Schöpfung. Die Regenbogenschlange vereint dabei die Prinzipien von Geist und Materie und taucht oft als schöpfendes Wesen in der australischen Kunst auf.