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Auf der Stevia


Autor: Jonathan Püttmann
Bilder: Andreas Naber
Geschrieben: 2013
Hochgeladen: 27.01.2020
Länge: 778 Wörter
Genre: Philosophie
Seite 1
A206

Episode auf der Stevia


Wettrennen
Ausblick von der Stevia

Angst hatte ich keine. Wieso auch. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommen würde. Unwissen macht stark. Stark und frei. Und diese Freiheit, von der ich hier erzählen möchte, begleitete mich mein ganzes Leben, bis über den Tod hinaus. Denn wer einmal frei war, und mit frei meine ich wirklich frei, nicht diesen anderen Scheiß, der wird auch alles tun, wirklich alles, um seine Freiheit zu behalten. Und genau das tat ich.

Unter mir schwim­men Haie. Lang­sam. Stark. Und ich - bin wan­dern. In den Ber­gen. In der Frei­heit. Ich schaue rund. Herum. Sehe den Sonnen­schein. Volle Wirkung. Lasse mich von den Raubfischen führen. Jeden Schritt. Mit Führung nach oben. Ich sehe den toten Baum. Tot. Toter. Am … Keine Ahnung, wie lange er da schon tot steht. Grüne Wiesen um mich herum. Mit seltenen Blumen. Ja, das passt. Ich bin auch selten. Und frei.

Da schaut mich diese Kuh einfach so an. Ich gehe einen Schritt. Immer noch. Ich gehe noch einen Schritt, noch einen. Halt! Der Abgrund. Unendliche Weiten zum Boden. Die unendlichen Weiten, des Nichts. Der Hölle. Des Himmels. Ich drehe mich um. Da schaut mich dieses Tier immer noch an. Neben mir bemerke ich weitere Menschen. Sie genießen die Freiheit. Wie ich. Doch niemand bemerkt oder beachtet die … Doch! Einer! Ein wenig abseits der Truppe. Am Abgrund.

Er schaut auch die Kuh an. Genau wie ich. Sie schaut ihn an. Genau wie mich. Er zieht Schuhe und Strümpfe aus - ich auch. Er läuft durch das feuchte Gras, trampelt seltene Blumen nieder - ich auch. Unsere Blicke treffen sich. Schweifen umher, treffen sich wieder. Er heult. Ich nicht.

Langsam bahnt es sich an. Meine kaltblütigen Begleiter habe ich aus den Augen verloren. Sehe sowieso nur noch den Einen. Und die Eine! So langsam werden die anderen auch neugierig. Neugier? Nein! Sie spüren jetzt nur genauso wie wir, das etwas kommen wird. Was ? Unklar. Doch was für Angst wir haben. Davor. Doch niemand kann es verhindern. Es passiert. Es kommt. Es ist Da!

Wir werden belagert. Gequält. Jeder für sich. Alle gemeinsam. Ich besonders. So habe ich mich eben noch frei geglaubt. Wir werden erpresst. Gepresst. In die gewünschte Form. Verraten von der ganzen Welt. Er schreit. Ich auch. Wir rufen gemeinsam. Der Himmel stürzt uns auf den Kopf. Die Sterne brennen in den Augen. Das ewige Feuer erlischt.

Er geht einige Schritte rückwärts. Gezwungen von der Qual. Ich auch. Da sprintet er los. Ich hinterher. Die Augen weit offen. Ich bin zu langsam! Er ist zu schnell! Ich komme nicht hinterher. Hinterher! Diese Gefühle! Diese Qual! Endlich erreiche ich ihn. Nehm ihn an der Hand, lass ihn nicht los. Der Abgrund vor uns. All die Menschen hinter uns. Werden gejagt. Von der hungrigen Meute.

Er macht einen letzten Satz. Hört nicht auf, bricht nicht ab. Und ich? Ja, was ich? Wer bin ich? Was war ich? Ich war frei. Und jetzt? Jetzt auch, mit ihm, mit der Kuh, mit all den Menschen von der Wiese. Denn das letzte, was mein Auge im freien Fall noch erfasste, war schon die nächste Person, die den Abgrund, die Freiheit erreicht hat. Und sie blieb nach uns nicht die einzige. Nicht sehr lange, jedenfalls …


Sonnenaufgang
Der tote Baum

Höhenflug des Jahrhunderts. Minutenlanger Freier Fall. Berauschend. Wenn ich das früher gewusst hätte, wäre ich viel früher gesprungen. Es war toll. Aber es hatte auch seine Nachteile. Zum Beispiel ist es ziemlich unangenehm, sich tausendmal in der Luft zu überschlagen. So versuchte ich, mich mit ruhigen Armbewegungen zu stabilisieren. Ruhig. Ja. Ruhig.

Ich halte ihn immer noch an der Hand. Will ihn nicht loslassen. Ihn nicht verlieren. Da sehe ich etwas blaues auftauchen. Blau. Glänzend. Spiegelnd. Unsere Rettung. Lenken ist eigentlich ganz einfach. Doch er will nicht. Er will die schmerzlose Variante. Will ins Graue, nicht ins Blaue. Aber ich will! Will weiterleben! Ein neues Leben beginnen. Frei! Er nicht.

Ich muss es tun. Ich kann nicht. Der blaue Fleck wird schon größer, gleich ist es so weit! Und ich trenne mich. Von ihm. Lasse ihn los. Sehe ihn ins Nichts verschwinden. Aber nun: Konzentration. Disziplin. Lenken. Fliegen. Fallen. Schwärze. Gerettet.

Bin nochmal mit blauem Auge davon gekommen. Ihn hat`s erwischt. Ich bin ihn aber nicht suchen gegangen. Wollte mir den Anblick ersparen. Jetzt liege ich hier im Moos. Knapp unterhalb der Baumgrenze. Der Blick in den Himmel, in die Sterne. Und ich denke nach.

Gibt es einen Menschen, der immer alles perfekt macht?
Gibt es einen Menschen, der nie Sorgen mit sich herumschleppt?

Das ist so, als würde man nach der Unsterblichkeit fragen.

Aber gibt es sie denn nicht, die Unsterblichkeit?
Die Unendlichkeit?

Und die Sonne geht auf …


Anmerkungen: keine