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TIXXA 2


Text/Abbildungen:
Jonathan Püttmann
Hochgeladen: 06.12.2020
Textart: Bericht
Kategorie: Literatur
Länge: 1224 Wörter
Seite 1
A103

TIXXA - Beginn eines neuen Selbst


TIXXA 2 - Druck 2020
Steckbrief
Geschrieben:2019/2020
Veröffentlicht:nein
Länge:88446 Wörter; 422 Seiten
Genre:Science-Fantasy
Cover:Hauptfiguren in einer fremden Umgebung, grün
Bindung:Taschenbuch Softcover
Inhalt

Über ein Jahr ist die vermutlich seltsamste Therapiestunde deines Lebens her und noch immer geht dir dieses Mädchen nicht aus dem Kopf. Das Handy ist kaputt und damit scheinen alle Probleme aus der Welt zu sein. Doch tief in deinem Inneren weißt du, dass das nicht das Ende war. Tatsächlich nimmt deine ehemalige Patientin schon bald mit dir Kontakt auf, aber obwohl du insgeheim damit gerechnet hast, weißt du nicht, wie du reagieren sollst. Deine Freundin wäre nicht sehr erfreut, wenn sie erfahren würde, dass du dich heimlich mit einem siebenjährigen Mädchen triffst, das mehr als doppelt so alt aussieht. Und auch dir ist mulmig dabei, denn das Mädchen weiß Dinge über dich, die es nicht wissen dürfte. Macht Sachen, die deines Erachtens gegen das Gesetz sind. Doch du kannst ihrem Bann nicht widerstehen.

Die Tage vergehen und Hannah ist immer noch nicht wieder aufgetaucht. Sorgen macht sich ihr Therapeut nach wie vor keine. Jedenfalls nicht um sie. Seite um Seite, die er schreibt, verfestigt sich seine Überzeugung, damals richtig gehandelt zu haben. Dabei ist es gar nicht so einfach, die Ereignisse aus neutraler Perspektive darzulegen. Denn längst schreibt er nicht mehr bloß über Hannah und alle möglichen Geschöpfe. Er selbst ist Teil der Handlung geworden. Ein Akteur mit eigenen Absichten und Wünschen. Bei dem Versuch, zu helfen, hat er sich unweigerlich in ein gefährliches Spiel um Macht, Erkenntnis und Liebe begeben und fragt sich nun, wie perfide jemand sein konnte, ihn da hineinzuziehen, ohne das er es merkte. Selbst Hannah ahnte zu diesem Zeitpunkt nicht, dass nicht alle ihre Bekannten das waren, was sie vorgaben zu sein. Für sie ging es stets nur darum, dem eintönigen Alltag zu entfliehen und vielleicht die ein oder andere Freundschaft zu schließen. Aber mit zunehmendem Druck ihres neuen Mentors begann auch sie zu zweifeln, ob sie noch den richtigen Leuten vertraute. Wie verdiente man als Siebenjährige möglichst unauffällig eigenes Geld? Wieso schien jeder sie zu kennen, obwohl sie niemanden kannte? Hatte Goog ihr da etwas verschwiegen? Und warum nannte sie überhaupt jeder Tixxa?

Leseprobe

Pünktlich zum vierten Advent stiegen die Temperaturen wieder an, die Hoffnung auf weiße Weihnachten schwand. Die Straßen waren vom Tauwetter rutschig wie nie, in den Gassen der Einkaufsstraßen stand der Geruch nach Zimt, Bratwurst und gebratenen Mandeln. Hannah bewegte sich in der Stadt frei wie nie zuvor. Sie ging mit Chiara shoppen, wobei fast ausschließlich Chiara tatsächlich etwas kaufte, und suchte weiterhin vergeblich nach dem christlichen Kern im ausufernden Konsum.

Das diesjährige Weihnachtsfest stand bei Familie Bernstein ganz im Zeichen der zunehmenden Distanzierung von Eltern und Tochter. Zwar wohnten sie im gleichen Haus und begegneten sich regelmäßig mit Neugier und Toleranz, doch ihre Weltanschauung war grundverschieden. Und nicht zuletzt aufgrund Hannahs letzter Entwicklung war ein normales Familienleben praktisch unmöglich geworden. Wie sonst auch machten alle das Beste draus, sodass wenigstens über die Feiertage gemeinsam gegessen und sich fröhlich über Nichtigkeiten unterhalten wurde. Hannah bekam neue Handschuhe und einen Pullover geschenkt, der ihr sogar passte. Überrascht war sie über den Chemiebaukasten, den sie sich zwar gewünscht, doch nicht damit gerechnet hatte, ihn wirklich zu bekommen. Selber verschenkte sie eine handgeschnitzte Holzfigur vom Weihnachtsmarkt und einen selbstgezeichneten Gutschein für einmal Eis essen.

Bis Silvester kamen dann verschiedene Verwandte zu Besuch, die alle über Hannahs Wachstumsschub, wie sie es nannten, zutiefst verwirrt waren. Ihre Eltern hatten wohl versäumt, die mehr oder weniger entfernten Familienmitglieder mit genügend Fotos zu versorgen, wie sie es beispielsweise nach ihrer Geburt getan hatten.

An Neujahr hielt sie es nicht mehr aus. Sie stürzte kopflos aus der Wohnung und rannte drei U-Bahnstationen weit, bevor sie in den erstbesten Zug stieg und sich bis an die Endstation bringen ließ. Anders als gehofft befand diese sich nicht wirklich außerhalb der Stadt, vielmehr stand sie nach dem Aussteigen in einer ruhigen Wohnsiedlung mit Spielplatz, Kirche und einer geschlossenen Pizzeria. Auf beiden Seiten der Hauptstraße gab es einen breiten, gepflasterten Bürgersteig. In fast quadratischen Parkbuchten standen, die Räder zwischen die hohen Bordsteine gequetscht, vereinzelt Pkws. Die Scheiben waren zum Teil von der letzten Nacht noch zugefroren. Und als hätte es in diesem Viertel kein Silvester gegeben, sah sie nirgendwo die schmutzig roten Flecken auf der Straße, ausgebrannte oder abgefallene Holzstäbe. Vorgärten und Straßen waren menschenleer. Sie lief mitten auf dem Asphalt und genoss die Einsamkeit, die brennend kalte Luft in ihren Lungen. Wie lange hatte sie sich gewünscht, in einer solchen Siedlung zu wohnen, in einem Haus mit Terrasse und Garten. Nun besaß sie andere Möglichkeiten. Das mühsame, einfältige Leben auf der Erde war nicht ihre Zukunft, dachte sie und erschrak vor sich selbst. Wie einfach, wie verführerisch der Gedanke in ihr Bewusstsein geklettert war, so bekam sie es plötzlich mit der Angst zu tun. Sie wusste, die Idee war nicht von Ungefähr durch ihr Ohr in ihr Gehirn geflattert. Seit sie Fätz vor einigen Monaten begegnet war und damit ihr Leben eine 180-Grad-Wendung hingelegt hatte, war sie bereits da gewesen. Tief vergraben und getarnt zwischen Neugierde, Ehrgeiz und Leichtsinn hatte sie tückisch gewartet, bis der Zeitpunkt so weit war und sie sich aus der Deckung wagen konnte. Das mühsame, einfältige Leben auf der Erde war nicht ihre Zukunft. Egal wie oft sie den Satz im Kopf wiederholte, er behielt dieses Angst einflößende Etwas. Wie auch die dunkle Vorahnung, dass in dem Satz mehr Wahrheit stecken könnte, als sie wahrhaben wollte.

Geistesabwesend greife ich mit meiner rechten Hand, den Füller zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt, in die rosane Porzellanschale neben dem Block. Leer. Seit ich angefangen habe nachträglich Tagebuch zu führen verbrauche ich 500 Kilokalorien mehr am Tag. Und da ich sehr vorsichtig mit meinem Zuckerkonsum geworden bin, waren Nüsse das Mittel der Wahl. Viel Fett, viel Protein, viele Vitamine. Nur gegen die roten Druckstellen an den Händen helfen sie wenig. Vielleicht war es doch die falsche Entscheidung, jedes Wort auf dem Papier zu formulieren. Andererseits habe ich nach wie vor großen Respekt vor den elektronischen Rechenmaschinen, deren Hersteller einem weismachen wollen, dass sie das Leben vereinfachen.

Ich gehe die Treppe runter in die Küche. Drei Jahre und elf Monate ist es jetzt genau her, dass der Brief an Simone Bauer in seinem unschuldig weißen Umschlag seinen Weg trotz Abweichung vom Namen auf dem Klingelschild, durch die Hand eines gut meinenden Zustellers in meinen Briefkasten gefunden hat. Im ersten Moment habe ich gedacht, der Briefträger hätte sich an der Tür geirrt, doch die Adresse stimmte exakt mit der meinen überein. Bis auf den Namen. Simone Bauer. Eine Person mit diesem Namen war mir nicht bekannt und mein Einzug in diese Wohnung war zu lange her, als dass eine Vormieterin gemeint sein konnte.

Statt mir neue Nüsse zu holen koche ich Kaffee und denke darüber nach, ob die Kartoffeln fürs Abendessen reichen werden. Müssen sie wohl, denn draußen hat es wieder zu regnen begonnen. An dem besagten Datum hat es nicht geregnet. Ganz im Gegenteil. Die Sonne taute das Glatteis und der ein oder andere Nachbar wagte den vorsichtigen Blick in den Vorgarten, ob die Schneeglöckchen denn schon blühten. Selbstverständlich war es noch zu früh dafür, aber wer nimmt es ihnen übel, im Januar auf den Frühling zu warten, wenn die ganze Welt von Klimaerwärmung spricht. Den Brief habe ich ungeöffnet in die Schreibtischschublade gelegt und wie ich mich kenne, läge er dort noch immer, hätte ich nicht am selben Tag noch einen ungewöhnlichen Anruf erhalten.

Anmerkungen:

keine