Kind der Straße
Die Luft steht still, trotzdem trocknet warmer Wind meinen Schweiß. In den Haaren verfängt er sich gern und schiebt dann den strengen Vorhang zur Seite. Mit jedem Tritt wird der Abstand größer und kommt mein Ziel doch nicht näher. Es ändert sich nichts. Bloß einsam auf der Straße, die Sterne spenden Trost. Ich will nicht mehr. Ich will aufgeben.
Das sanfte Surren der Reifen über den glatt verarbeiteten Asphalt ist Musik in meinen Ohren. Es beruhigt mich zu wissen, dass ich in jeder Sekunde Meter hinzugewinne und nie welche verliere. Ich kenne die Strecke, die Straße ist allerdings neu. Früher haben hier noch Bäume gestanden mit ihren mächtigen Stämmen und Schatten spendenden Kronen und mit ihren Wurzeln Wellen durch den Asphalt geschlagen. Wir haben die Straße zurückerobert, so freut sich mein Hintern über weniger Huckel und steigt mein Adrenalinspiegel mit jeder weiteren Umdrehung pro Minute.
Ich trage mein eigenes kleines Sternlein bei mir, das zaghaft mir den Weg leuchtet. Dabei beginnt der Asphalt geheimnisvoll zu glitzern, wo der gerichtete Lichtstrahl ihn streift. Bei meinem Tempo werden aus den einzelnen Lichtpünktchen Linien, ein Teppich aus Stein, funkelnd wie ein Diamant. Schaue ich nur einen Schritt abseits, versinkt der Graben im tiefsten Schwarz. Unnatürlich schwarzer Schatten. Sofort beschleunigt mein Puls und ich trete fester. Rascheln im Unterholz verrät mir, dass ich nicht allein bin. Außerdem kann man sich unter klarem Himmel gar nicht einsam fühlen, zu viele Augen sind auf einen gerichtet. Doch wenn plötzlich Lärm den Frieden auf Erden zerreißt, zwei grelle Blitze in meinem Sichtfeld explodieren und unaufhaltsam auf mich zu rasen, wünsche ich mich manchmal an einen anderen Ort, in eine andere Zeit. Es gibt zu viel zu wissen und die Gedanken daran kommen stets im falschen Augenblick. Dann will ich ausweichen, es verdrängen, gewaltsam der Qual ein Ende setzen. Wenige Sekunden später ist es vorbei. Ein roter Schimmer winkt spöttisch mir zum Abschied. Die Idylle ist unwiederbringlich zerstört, der Traum zum Albtraum geworden. Die Sterne sind allesamt noch da, sprechen mir tröstend zu. Ich brauche dann immer eine Weile, bis ich mich wieder beruhigt habe. Bis ich mich erneut völlig auf das gleichmäßige Summen der Räder konzentrieren kann, meine Tritte im ewig gleichen Takt. Es ist gut, dass es keinen Wind gibt. Mein Vorwärtskommen erzeugt Reibung genug. Und Wind kommt stets aus der falschen Richtung.
Meine Augenlider werden schwer. In der Ferne blinken die Ausläufer der nächsten Stadt. Damit nimmt leider auch der Verkehr zu. Ich muss es aushalten. Ich kann es aushalten. Zu schön sind die Momente dazwischen. Ich schaue in den Himmel, überprüfe die Ladung auf dem Gepäckträger und weiß: Ich bin ein Kind der Straße.
keine