ich
hintergrund

Eine Regenliebe


Text/Abbildungen:
Jonathan Püttmann
Hochgeladen: 24.04.2022
Textart: Bericht
Kategorie: Literatur
Länge: 857 Wörter
Seite 1
A107

Eine Regenliebe


Eine Regenliebe - Druck 2021
Steckbrief
Geschrieben:2021
Veröffentlicht:nein
Länge:21326 Wörter; 116 Seiten
Genre:Kinder/Jugend
Cover:Regenbogen mit Glasskulptur, Tropfen an der Scheibe
Bindung:Taschenbuch Softcover
Inhalt

Damit sich ihre geschiedenen Eltern nicht um sie streiten müssen, verbringt Ria dieses Jahr Weihnachten bei ihrem Opa. Sie machen zusammen Pizza, gehen spazieren und unterhalten sich über früher. Auf dem Dachboden entdeckt Ria ein kleines Säckchen aus blauem Samt, das Opa für verschollen gehalten hat. Doch statt sich zu freuen, wird Opa plötzlich ganz nachdenklich. Auf Rias Fragen antwortet er nur, dass alles mit dem Regen zusammenhinge. Neugierig, wie Ria ist, will sie die ganze Geschichte hören, obwohl sie Mama versprechen musste, Opa nicht zu sehr zu löchern. Doch ihr Opa beginnt zu erzählen - von seiner Schulzeit, seiner Allergie gegen Erdbeeren und natürlich vom Regen. Es ist eine traurige Geschichte, aber eine, die irgendwann erzählt werden muss. Und welcher Zeitpunkt eignet sich da besser als ein langer, verregneter Heiligabend?

Leseprobe

Genauso hat sich Ria Weihnachten bei Opa vorgestellt: Heiße Getränke, volle Bäuche und Opa erzählt von früher. Und mit den Kerzen und ihrer Dekoration ist es endlich auch gemütlich geworden im Wohnzimmer. Der Regen draußen hat nachgelassen. Sie fragt sich, ob es derselbe Regen ist, der Opa gerettet hat. Ohne ihn wäre Ria niemals geboren.

„Danke“, flüstert sie leise und kommt sich dabei sehr kindisch vor.

„Was hast du gesagt?“, fragt Opa.

„Nichts nichts“, antwortet sie schnell. „Erzähl weiter!“

„Weißt du Ria, die Kunst am Ausreißen ist nicht der Weg nach draußen. Wer schon einmal ausgerissen ist, weiß das, stimmt‘s?“

Er macht eine Pause und schaut Ria an, die sich aber nichts anmerken lässt.

„Die Kunst am Ausreißen ist, später wieder einen Weg ins Haus zu finden. Nachts werden alle Eingangstüren von Jugendherbergen abgeschlossen, das steht so bei denen in der Hausordnung. Wir mussten also durchs Klofenster klettern und hoffen, dass es niemand hinter uns verriegelt. Danach war alles ein Kinderspiel. Im Schatten der Hauswand sind wir auf die Straße gelaufen und dann immer in Richtung der Burgruine. Erst als wir die Straße verließen und den Waldrand erreichten, haben wir uns getraut, unsere Taschenlampen zu benutzen. Im nächsten Moment hörten wir ein helles Rauschen oben in den Baumkronen. Rate mal, was das war. Nicht der Wind. Das war der Regen, der in diesem Moment einsetzte.“

Ria nimmt einen Schluck von ihrem Kakao. Das Wachs hat in der Kerze auf dem Tisch einen See gebildet, in welchem sich die Flamme spiegelt.

„Hast du dich gefreut, dass es regnete?“, möchte das Mädchen wissen.

„Nein, im ersten Moment war mir das gar nicht recht. Schließlich würden wir völlig durchnässt in die Jugendherberge zurückkommen. Ich sah es schon vor mir, wie unsere Lehrer die nassen Fußabdrücke im Flur zu unserem Zimmer zurückverfolgen. Außerdem wollten wir doch von der Burg eine schöne Aussicht haben.

Lukas blieb stehen und fragte, ob wir umkehren sollten. Aber ich wusste, wenn wir heute nicht zur Burg kamen, dann würde es in der nächsten Nacht erst recht nicht klappen. Irgendeinen Grund gibt es doch immer für einen Rückzieher. Ich sagte nein und Lukas setzte sich sofort wieder in Bewegung. Sicher war er dankbar, dass ich diese Entscheidung für uns beide traf.

Zum Glück gab es nicht viele Wege, die bergauf führten, denn streng genommen hatten wir keine Ahnung von der Umgebung. Es war stockfinster und mit dem Regen konnten wir höchstens zehn Meter weit schauen. Lukas‘ Taschenlampe war deutlich heller als meine. Mehrmals stolperte ich über einen Stein oder Ast auf dem Weg. Aber das war gar nicht das Schlimmste. Der Regen wurde immer stärker und bei einem Berg bedeutet das, dass das Wasser in Strömen nach unten fließt. Unser Weg bestand ja nur aus festgetretener Erde, die langsam immer mehr Wasser aufsog und weich wurde wie Butter.

Bist du schon einmal im Schwimmbad die Wasserrutsche hochgeklettert? Ich meine nicht auf der Leiter, sondern auf der Rutschbahn.“

„Ich hab‘s mal versucht“, sagt Ria kichernd.

„Siehst du, wir haben das häufig gemacht, wenn der Bademeister nicht hingesehen hat. Aber jetzt war das Wasser pechschwarz und wir wussten nicht den Weg. Unsere Klamotten waren natürlich längst tropfnass, doch wir kämpften uns weiter. Schlimmer konnte es nicht werden, dachte ich. Da fing es an zu gewittern.

Ich hielt das alles für einen schlechten Witz und musste plötzlich lachen. Das war das Beste, was ich tun konnte. Einfach die Welt so nehmen wie sie war. Ab der Sekunde war ich wieder im Einklang mit dem Regen. Wie es Lukas damit ging, weiß ich nicht. Aber wir blieben beide kein einziges Mal mehr stehen. Kennst du das, wenn man alles ausblendet, nur um eine bestimmte Sache zu erreichen? Jedenfalls waren wir tatsächlich irgendwann oben und suchten den Burgeingang. Es gab einen hohen Turm, auf den wollten wir steigen. Es gab jedoch keine Treppe, sondern nur eine senkrechte Leiter aus Metall an der Außenwand. Die Sprossen waren eiskalt und glitschig und hinter mir tobte das Gewitter. Ich stellte mir vor, was passieren würde, wenn der Blitz in die Metallleiter einschlug, die senkrecht in den Himmel führte. Wir würden gebrutzelt werden wie Grillhähnchen am Spieß. Unaufmerksam wie ich war, rutschte ich mit einem Fuß von der Sprosse ab, konnte mich aber gerade so festhalten. Blöderweise fiel mir dabei die Taschenlampe aus der Hand, die zwei Sekunde später scheppernd am Boden erlosch.

Anmerkungen:

keine