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Tausch


Text/Abbildungen:
Jonathan Püttmann
Geschrieben: Juni 2019
Hochgeladen: 12.02.2020
Länge: 3800 Wörter
Genre: Fantasy
Seite 2
A204

Tausch


Traum

Die Sonne geht unter und ich habe das Gefühl, die ganze Welt versinkt mit ihr. Letzte warme Lichtstrahlen brechen sich in den Fensterscheiben und meine Einzimmerwohnung wirkt enger denn je. Mit klopfendem Herzen rufe ich die Website von gestern auf und starre wütend auf das Knochengesicht.

„Ich habe meinen einzigen Freund umgebracht und du bist schuld.“, werfe ich ihm vor. Würden meine Hände nicht seit gut einer Stunde zittern und ich nicht alle fünf Minuten krampfhaft um Atem kämpfen müssen, würde ich das ganze vermutlich für einen schlechten Witz halten. Einen geschmacklosen Streich, den mir meine Erinnerungen spielen. Er wollte es, aber das ist keine Entschuldigung. Ich bin schuldig. Komme ich dafür nicht ins Gefängnis, dann ganz sicher danach in die Hölle.

Ich öffne mein Mailprogramm und beginne zu tippen: „Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit gestehe ich den Mord an meinem Freund und Kommilitonen Patrick Hartmann. Ich habe ihn aus Eifersucht vorsätzlich und im vollen Besitz meiner geistigen Kräfte erschossen. Im Anhang finden sie Fotos der Leiche und der Tatwaffe, welche sich beide derzeit mit mir zusammen in einer Kleingartensiedlung am westlichen Stadtrand befinden. Es ist der Garten hinterm Kreisel, abseits der Straße, hinter der Reihe anderer, gepflegter Gärten mit den frisch gestrichenen Holzhütten und noch weiter hinten am Bachufer (Spürhunde helfen). Ich bereue meine Tat nicht, habe aber genug vom Davonlaufen, also stelle ich mich.“ Nein, das ergibt keinen Sinn. Vielleicht sollte ich Patrick einfach folgen. Die Handys verbrennen und es wie einen Doppelselbstmord aussehen lassen. Natürlich hat er sich nicht bei mir gemeldet. Bloß einen dramatisch klingenden Abschiedsbrief hinterlassen, in welchem er Wörter wie Reinkarnation und Fatalismus verwendet. Es war alles Schwachsinn. Jugendlicher Leichtsinn. Im naiven Glauben daran, endlich etwas erreichen zu können, worüber andere nur predigen. Wunder. Auferstehung. Ich wurde nicht wirklich religiös erzogen, doch die Medien taten ihr Übriges, mich in den Bann eines, nüchtern betrachtet, absurden, auf Science-Fiction und Fantasy-Filmen basierenden Glaubens zu ziehen. Da steh ich nun, ich armer Thor, und bin so klug als wie zuvor.

Kühler Wind kommt mir entgegen, einerseits erfrischend nach dem Wetter der letzten Tage, andererseits von unangenehmer Trostlosigkeit. Die Umrisse eines Mannes werden sichtbar, es kommen Farben hinzu … Patrick lebt! Federnden Schrittes kommt er auf mich zu und hebt seine rechte Hand. In seinem Gesicht steht ein freudig kindliches Lachen, keine Spur einer Verletzung!

Ich träume, schießt es mir durch den Kopf und ich sacke in mich zusammen. Einen winzigen Moment lang habe ich gedacht, die Schuld noch von mir abwälzen zu können. Einen Augenblick gehofft, mit meinem Freund morgen gemeinsam in die Vorlesung gehen zu können. Zu früh gefreut.

Der nächste Gedanke trifft mich wie ein Schlag. Und ich betrachte den jungen Mann genauer. Seine nackten Füße haben im sandigen Boden hinter ihm keine Spuren hinterlassen. Trotzdem wirkt er so lebendig, so vertraut, mit den großen blauen Augen, den roten Wangen und den trainierten Brustmuskeln. Kann es sein, dass er tatsächlich als Geist zurückgekehrt ist? Wenn ich länger darüber nachdenke, erscheint es immer plausibler, dass der Kontakt zwischen Lebenden und Toten der Zeit im Schlaf vorbehalten ist.

„Hi!“, sage ich, etwas zu schüchtern, als Patrick endlich vor mir stehengeblieben ist.

„Na, hast du mich vermisst?“, antwortet er reserviert. Seine Stimme hat einen merkwürdigen Klang, dunkel und warm, von seltsam rauer Konsistenz, die ich auf Anhieb nicht zu deuten weiß. Ich will etwas erwidern, da fällt er mir ins Wort: „Du musst mir alles erzählen. Da, wo ich jetzt bin, kann ich leider nicht mehr sehen, was auf der Erde passiert. Es ist reines Glück, dass ich dich bereits nach gut 4500 Versuchen finde. Die Menschen träumen alle so schrecklich ähnlich. Was hast du eigentlich mit meiner Leiche gemacht?“

„Momentan liegt die mitsamt der Waffe bei dir im Keller. Ich weiß auch nicht, irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt. Aber keine Sorge, ich überlege mir eine Lösung.“, berichte ich ihm wahrheitsgemäß. Gleichzeitig beschleicht mich das ungute Gefühl, dass etwas nicht stimmt. Es ging uns schließlich darum, das Reich der Toten zu erforschen und plötzlich scheint sich Patrick mehr für die Welt der Lebenden zu interessieren.

„Gut, macht nichts.“, fährt er unbeirrt fort, „Also was ist – bereit, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen?“

Sein Lachen sieht so echt aus, doch ich kenne ihn besser. Etwas ist schiefgegangen und nun ist er nicht mehr derselbe. Ein freundliches Gesicht, doch hinter der Maske etwas düsteres, anderes.

„Nicht so hastig.“, versuche ich Zeit zu gewinnen, „Wie soll das überhaupt gehen? Muss ich was unterschreiben? Blut spenden?“

„Du hast mir dein Wort gegeben. Das genügt. Jetzt gib mir deine Hand und der Austausch ist vollzogen. Ich wache morgen früh in deinem Körper und mit deinen Fähigkeiten auf, beginne ein neues Leben und du steigst auf zu den Engeln im Himmel, wie wir es vereinbart haben.“

„Moment, gibt es tatsächlich einen Himmel? Und bist du sicher, dass ich dorthin komme?“

„Ich sags mal so: Die Menschen fürchten sich völlig grundlos vor dem Tod. Natürlich ist es nicht das Gleiche wie zu leben, doch du spürst weder Schmerzen noch Bedürfnisse. Also los, schlag ein!“ Mit steinharter Miene, die Lippen unnatürlich weit zu einem verfrorenen Grinsen nach oben gezogen, kommt er einen Schritt auf mich zu und streckt seine Hand aus. Auf einmal erkenne ich die Ungeduld in seinen Augen, die wie ein Höllenfeuer rot in seinen Pupillen brennt. Ich weiche zurück.

„Nein. Was auch immer mit dir passiert ist, mein Leben kriegst du nicht!“

„Du hast mir dein Wort gegeben! Außerdem warst du es, der abgedrückt hat. Ja, ich habe dir noch am Abend geschrieben, dass ich es nicht schaffe. Ja, ich habe dich gebeten, zu mir zu kommen und mir zu – helfen. Aber du hast abgedrückt.“ Ich erinnere mich genau und er hat Recht. Andererseits muss ich verhindern, dass derjenige, der sich in Patricks Geist geschlichen hat, eine Gelegenheit bekommt, sich auf der Erde einzunisten.

„Die Abmachung habe ich mit meinem Freund Patrick getroffen. Nur mit ihm ist sie bindend. Was bist du, dass du es wagst, mich um mein Leben zu betrügen?!“

Die Grimasse löst sich und mein Gegenüber hört auf, seine wahre Gestalt vor mir zu verstecken. Ohne mit der Wimper zu zucken stößt er einen dunklen, bedrohlichen, polternden Schrei aus.

„Seit wann interessierst du dich für andere. Wer ich bin? Jemand, der es leid ist, vom Kreis der Privilegierten auf ewig ausgeschlossen zu sein. Ein Tag in deinem Leben ist hier ein halbes Jahr. Den Hunger und den Durst nehmen sie einem, doch die Sehnsucht bleibt. Du warst es, der unbedingt tauschen wollte. Ich mache dir das einmalige Angebot, unseren Deal neu zu verhandeln. Sei klug und triff keine voreiligen Entscheidungen. Du könntest es bereuen!“

„Du checkst es nicht. Es gibt keinen Deal. Lass mich in Frieden!“

„Wie du willst. Aber du sollst wissen, dass du nicht der einzige Mensch bist, den ich im Traum besuche. Und andere sind nicht so beschränkt wie du und erkennen, wenn jemand es gut mit ihnen meint.“

„Warum bequatscht du dann nicht eben einen andern, wenn die scharf darauf sind, dir zu dienen? Wieso muss ich es sein?“

„Weil ich nicht im Körper einer Pfeife leben will. Ich will es noch zu etwas bringen später, da benötige ich deine Intelligenz. Nächste Nacht komme ich wieder, mal sehen, wie du da über die Sache denkst.“

Aus dem Schlaf geschreckt, mit klopfendem Herzen und einem dumpfen Schmerz im Nacken, puzzeln sich meine Gedanken erst ziemlich spät zu einem schlüssigen Bild zusammen. Daraufhin bin ich unschlüssig, wozu ich in meiner Lage noch fähig bin. Welche Optionen gibt es? Ist die Situation wirklich derart festgefahren, wie es meine grauen Zellen vermelden?

Draußen ist es bereits hell, wenn auch bewölkt. Mein Handywecker gibt das Signal, dass in 40 Minuten die Vorlesung beginnt. Ich habe weitaus andere Sorgen. Widerwillig knabber ich an der letzten Toastscheibe aus dem Schrank, den Joghurt schmeiße ich nach zwei Löffeln in den Müll. Betrachtet man allein die Fakten, könnte es echt schlimmer sein. Mein bester Freund ist tot. Na und? In den 20 Jahren, in denen ich ihn noch nicht kannte, bin ich ebenfalls zurecht gekommen. Und was bedeutet schon ein einzelner Traum? Einmal habe ich geträumt, ich hätte keine Beine mehr. Ich träume dauernd irgendeinen Scheiß. Vielleicht muss ich einfach mal auf andere Gedanken kommen. Drei Energydrinks und 90 Minuten YouTube-Videos später weiß ich erst recht nicht mehr, was ich glauben soll. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ich ziemlich in der Klemme stecke oder mir ist einfach bloß schlecht. Mich juckt es in den Fingern, das Blatt zu wenden und es diesem Arschloch heimzuzahlen.



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